Qualität für die Zukunft? – Diskussion zur Novellierung des Kinderförderungsgesetzes

Frühkindliche Bildung, Kita und Horte

29.08.2018

Die Friedrich-Ebert-Stiftung lud am 28. August 2018 nach Alsdorf ein, um gemeinsam mit der Staatssekretärin Susi Möbbeck, Kitaleiterin Janet Köhler aus Eisleben, Frau Ruppelt vom Jugendamt des Landkreises Mansfeld Südharz und unserer Referentin für frühkindliche Bildung und Jugendhilfe Nicole Anger die aktuellen Eckpunkte des Gesetzentwurfes zu bewerten und zu diskutieren. Der Einladung sind über 60 Erzieher*innen, Kitaleiter*innen, Vertreter*innen von Verwaltung und Eltern gefolgt.

In einem Eingangsstatement hob die Staatssekretärin hervor, dass wir in Sachsen-Anhalt eine gute Bilanz der Kindertagesbetreuung ziehen können. Nun ginge es darum, diese Bilanz beizubehalten und weitere Entlastungen zu schaffen. Dabei fokussiert der Gesetzentwurf der Landesregierung vor allem folgende Punkte:

  • Entlastung der Gemeinden durch Übernahme von perspektivisch dynamisierten 51 Prozent der Personalkosten der Fachkräfte durch das Land,
  • Entlastung von Erzieher*innen durch Anrechnung von 10 Ausfalltagen dafür werden 508 weitere Fachkräfte gebraucht,
  • gleicher Bildungsanspruch für alle Kinder von 8 Stunden; bei individuellem familiären Bedarf und zur Vereinbarung von Familie und Beruf gäbe es 10 Stunden,
  • Entlastung der Eltern durch Verbesserung der Geschwisterermäßigung – man solle perspektivisch nur noch für das älteste Kind in Krippe oder Kindergarten einen Beitrag zahlen,
  • Unterstützung von Kindertageseinrichtungen mit besonderen pädagogischen Herausforderungen mit 100 zusätzlichen Fachkräften,
  • Stärken der Elternvertretungen,
  • Klärung der Kostenübernahme bei Mittagsverpflegung,
  • das Gesetz solle zum 1. Januar 2019 in Kraft treten – insbesondere ab dem Tag, solle bereits die Geschwisterermäßigungen gelten.

Darüber hinaus betonte die Staatssekretärin, dass auch der Bund mit dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz sich ab dem kommenden Jahr an dem Qualitätsausbau beteiligen werde. Die zu erwartenden Bundesmittelmittel sollten aus Sicht des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration in den Personalschlüssel fließen.

Nach den Ausführungen hatte unsere Referentin Nicole Anger die Gelegenheit, den vorgestellten Gesetzentwurf fachlich zu bewerten. Sie betonte, dass die qualitative Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung Priorität im Land haben muss. Der qualitative Standard ist zu erhalten und weiter auszubauen. Ob dem vorliegenden Gesetzentwurf dies gelingt, ist jedoch fraglich. Grundsätzlich können die überwiegenden Intentionen der Landesregierung begrüßt werden. Dennoch sieht der Paritätische noch deutlichen Verbesserungsbedarf im Interesse von Kindern, Eltern und Erzieher*innen.

Im Konkreten benannte Nicole Anger folgende Punkte:

  • Es wird begrüßt, dass den Gemeinden seitens des Landes eine erhöhte anteilige Finanzierung der Personalkosten zugesichert wird. Damit werden die Kassen vor Ort entlastet. Dass diese Landespauschalen auch entsprechend der Tarife dynamisiert werden, ist ein richtiger Schritt.
  • Von einer wirklichen Entlastung der Erzieher*innen kann bei einer Anrechnung von 10 Ausfalltagen nicht gesprochen werden. Zumal diese Ausfalltage auf Vollzeitäquivalente (VZÄ) gerechnet werden, und nur 21 Prozent der Fachkräfte in Vollzeit beschäftigt sind. Versprochen waren hier gemäß Eckpunktepapier aus dem Mai 2018 - 10 Ausfalltage pro Kopf. Im Konkreten heißt das bspw. bei einer gemischten Einrichtung Kinderkrippe/Kindergarten mit 122 Kinder und 20 Erzieher*innen, dass es nach dem neuen Mindestpersonalschlüssel ein zusätzliches Stundenvolumen für die Einrichtung von 26 Stunden je Woche geben wird – bei einer Anrechnung von 10 Tagen je Fachkraft wären das schon 31 Stunden je Woche. Eine Dynamisierung dieser Ausfalltage, wie angekündigt, lässt sich aus dem Entwurf heraus nicht erkennen. Der Bedarf an Ausfalltagen belaufe sich jedoch nach Einschätzung des Paritätischen auf 55 Tage je Fachkraft: durchschnittlich 21 Kranktage, 29 Tage Urlaub und 5 Tage Fort und Weiterbildung. Das Gesetz würde somit statt der von uns geforderten 25 Prozent Ausfallzeiten je Fachkraft nur um 3,83 Prozent verbessert werden, was sich im Kita- bzw. Hortalltag kaum bemerkbar machen werde.
  • Sehr fraglich ist die Notwendig der Reduktion des Ganztagsanspruchs. Um den gleichberechtigten Teilhabechancen und dem gleichen Zugang zu frühkindlicher Bildung aller Kinder von Anfang an gerecht zu werden, darf es keinen geteilten Ganztagsanspruch geben. Auch die vom Land in Auftrag gegebene Evaluation zur Kindertagesbetreuung hat festgestellt, dass Kinder im Durchschnitt 8,4 Stunden die Kinderkrippe und 8,6 Stunden den Kindergarten besuchen. Tendenz steigend. Da ist es nicht erklärlich, dass die Landesregierung deutlich hinter den Evaluationsergebnissen bleibt. Außerdem ist zu erwarten, dass in Konsequenz Einrichtungen ihre Öffnungszeiten aufgrund des reduzierten Betreuungsanspruchs verkürzen müssen. Aktuell bieten laut Evaluation Einrichtungen 11 Stunden (öffentlicher Träger) bzw. 11,4 Stunden (freier Träger) Öffnungszeiten an. Wenn eine Einrichtung von einer hohen Anzahl Kinder mit 8Stunden-Anspruch besucht wird, kann das aufgrund der reduzierten Betreuungszeiten sich ebenfalls auf die Arbeitsvolumina der Fachkräfte und damit auch auf die Öffnungszeiten der Einrichtung verkürzend auswirken. In der Konsequenz wird Eltern mit einem 10-Stunden-Anspruch die breite der Öffnungszeiten genommen und damit eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf negiert. Es ist absehbar, dass der oben genannte Mehrbedarf von 508 Fachkräfte sich ebenfalls mit den verkürzten Betreuungsansprüchen aufhebt, bis dahin, dass in einzelnen Einrichtungen sogar Personalreduktionen erfolgen müssen.
  • Im Grundsatz unterstützen wir das Ziel des Landes, eine kostenfreie frühkindliche Bildung für alle Kinder anzubieten. Dieser Weg zur Beitragsfreiheit kann jedoch nur schrittweise erfolgen und darf nicht den qualitativen Ausbau bremsen resp. verhindern. Mehr Geld in der Tasche der Eltern bedeutet nicht mehr Qualität in Kindertagesbetreuung. Daher ist abzuwägen, ob man nicht eher einen Weg findet, Elternbeiträge zunächst zu deckeln. Darüber hinaus sind bei der vom Land vorgestellten Geschwisterermäßigung auch viele Familien benachteiligt, weil die Ermäßigung bei ihnen nicht greift. Dies trifft u.a. Familien mit einem Kind, aber auch Familien mit Kindern, die einen Altersunterschied von mehr als sechs Jahren haben. Und besonders bedauerlich ist, dass Alleinerziehende mit einem Kind hier auch keinerlei Unterstützung erfahren.
  • Die Klarstellung zu den Kosten der Mittagsversorgung hebt eine Situation positiv auf, die viele Kitas lange belastet. Serviceverträge zwischen Einrichtung und Eltern mit Nebenkosten zur Verpflegung sind damit obsolet. Eltern zahlen nur noch das Essen, alles andere ist Bestandteil der Leistungs-, Qualitäts- und Entgeltverhandlungen (LQE).

Im Weiteren hat dann auch die Kitaleiterin Frau Köhler noch einmal nachdrücklich ausgeführt, wie wichtig die Beibehaltung des aktuellen Ganztagsanspruchs für alle Kinder ist, welchen Mehrwert es hat, gemeinsam zu spielen und zu lernen. Gerade in ihrer Einrichtung läge eine hohe Quote von Familien vor, die von der Reduktion betroffen wären. Das hätte in der Tat, und das habe sie bereits berechnet, die Kürzung von Arbeits- und Öffnungszeiten für ihre Einrichtung zur Folge.

Nach den einführenden Statements war für die vielen Interessierten Gelegenheit, ihre Nachfragen zu stellen und Einschätzungen abzugeben. Davon machte auch ein Großteil der Anwesenden Gebrauch. Insbesondere fokussierten die Meinungen aus dem Publikum den Mindestpersonalschlüssel, der mit der vorgesehenen Verbesserung, die aber erst an der dritten Stelle nach dem Komma auftauche, keine wirkliche Entlastung für die Erzieher*innen bringen werde. Was man brauche, sei ein echter Anstieg an Personal mit einer realistischen Kalkulation der Ausfallzeiten, aber auch die Vor- und Nachbereitungszeiten müssten dringend eingerechnet werden. Große Unsicherheiten und Nachfragen gab es zur Reduktion der Betreuungszeiten. Hier war vor allem Unverständnis erkennbar, warum man dies tue, da sich die Notwendigkeit nicht erschließe. Und wie sich die Landesregierung vorstelle, den Verwaltungsaufwand dazu geringstmöglich zu halten. Grundsätzlich bestand aber hohe Einigkeit im Saal, dass ein geteilter Ganztagsanspruch nicht im Sinne der Kinder sein kann. Allen Kindern muss es weiterhin möglich sein, die Kita bis zu 10 Stunden zu besuchen, egal aus welchem Elternhaus sie kommen.

Unklarheiten gab es bei den anwesenden Trägervertreter*innen in Bezug auf die bevorstehenden Verhandlungen. Schon zum derzeitigen Zeitpunkt müssen bei den Landkreisen die Unterlagen für das kommende Jahr eingereicht werden. Das heißt, diese basieren alle noch auf dem aktuell geltenden KiFöG. Die Frage, wie das dann geregelt werden kann, blieb offen. Es zeichnete sich lediglich die Tendenz ab, dass Mindestpersonalschlüssel und veränderter Ganztagsanspruch zum 1.8.2019 in Kraft treten sollen. In dem Zusammenhang verwiesen die Vertreter*innen auch auf die Doppelrolle der Gemeinden. Wenn diese bereits als Verhandlungspartner*innen mit den Landkreisen und Trägern gemeinsam am Tisch zu den LQE verhandeln, dann solle es auch möglich sein, gleich in der Verhandlung das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen. Ansonsten hätten sie ja eine zweifache Zustimmungsoption bzw. dauere es in einigen Gemeinden Monate bis das Einvernehmen erteilt ist, da die Träger aufgefordert werden, ihre Kalkulation in den unterschiedlichen Gremien vor Ort nach den Verhandlungen mit dem Landkreis noch vorzustellen. Auch sei die Schiedsstelle hier zwar hilfreich, aber die Wartezeit betrage mittlerweile Jahre, da sich bei dem ehrenamtlichen Gremium die Verfahren stauen – 110 offene Verfahren im April 2018.  

Fazit: Die vom Land angekündigte Qualitätsnovelle bleibt hinter den Erwartungen der im System Kindertagesbetreuung Aktiven zurück. Qualität in Kita und Hort macht sich vor allem am Personal deutlich. Hier gilt es das Fundament einer jeden Einrichtung zu sichern, und das seien nun einmal die Fachkräfte. Hier muss eine deutliche und spürbare Entlastung stattfinden.