Freie und Öffentliche Jugendhilfe diskutiert KJSG 

Frühkindliche Bildung, Kita und Horte Hilfen zur Erziehung

27.06.2023

Am 15.06.2023 hat der PARITÄTISCHE Sachsen-Anhalt das Format “Fachforum KJSG” fortgesetzt. Expert*innen aus der Kinder- und Jugendhilfe tauschten sich über das bisher Geschehene und zukünftig Notwendige aus. 

Im Sommer 2021 ist das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) in Kraft getreten. Mit vielen Erwartungen verbunden ist dadurch ein langjähriger Diskussionsprozess zu Ende gegangen mit dem Ziel, die Rechte von Kindern und Jugendlichen im SGB VIII zu stärken. Doch wo stehen wir nach zwei Jahren KJSG? Vor welchen Herausforderungen steht die Praxis vor Ort, und was steht noch für die Zukunft an? Dazu hatte DER PARITÄTISCHE Sachsen-Anhalt Vertreter*innen von freien und öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe eingeladen. 

Zum “Fachforum KJSG - Schutzkonzepte, Beschwerdeverfahren und Selbstvertretung” konnte DER PARITÄTISCHE ca. 70 Vertreter*innen von Mitgliedsorganisationen aber auch Jugendämtern aus dem ganzen Bundesland, sowie Vertreter von Landesebene im Roncalli-Haus in Magdeburg begrüßen. Ziel des Fachforums war eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, ein Blick in die Zukunft, aber auch die Möglichkeit, in einem informellen Rahmen miteinander offen ins Gespräch zu kommen. 

Im Rahmen eines Grußwortes betonte Antje Ludwig, Landesgeschäftsführerin des PARITÄTISCHEN, noch einmal, dass es für eine gute Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe verlässlicher und vertrauensvoller Partnerschaften von öffentlichen und freien Trägern vor Ort bedarf. Gleichzeitig bedarf es rechtssicherer Rahmenbedingungen durch Bund und Land. Gerade mit Hinblick auf den Übergang in eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe ab 2028 bleibt nicht mehr viel Zeit. In diesem Lichte sind die bisher angedachten Änderungen im Landesausführungsgesetz als nicht weitreichend genug einzustufen. 

Um nicht nur über die Zielgruppe zu reden, sondern auch mit Ihnen, vertrat Dr. Katharina Ronstedt den Careleaver e.V., der größten Interessensvertretung von ehemaligen Bewohner*innen in betreuten Wohngruppen/Kinderheim oder Pflegefamilien. Die heutige Fachärztin für Radiologie am Universitätsklinikum Halle/Saale war selbst seit dem 14. Lebensjahr in mehreren Jugendhilfeeinrichtungen und Kliniken untergebracht. Dank einzelner Engagierter schafft sie dennoch eine sehr erfolgreiche Karriere und ist damit bis heute immer noch eine der wenigen Ausnahme in einem System, welches ihrer Meinung immer noch zu wenig auf die Bedarfe der einzelnen Kinder und Jugendlichen blickt. Die eigenen Erfahrungen begleiten sie bis heute, weshalb es aus ihrer Sicht sehr wichtig ist, mit unterstützenden Strukturen die familiären und sozialen Privilegien auszugleichen, die Care Leaver*innen eben nicht zur Verfügung stehen. 

Wo genau die Herausforderungen für Kinder und Jugendliche, aber auch Familien und Sorgeberechtigten im System der Leistungsgewährung liegen, skizzierte ebenfalls Martin Blasche, Berater bei OMBUD LSA, einem Modellprojekt zur ombudschaftlichen Beratung und Beschwerde in der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen-Anhalt, in Trägerschaft von KinderStärken e.V. Seit über zwei Jahren übernehmen er und seine Kolleg*innen bereits die durch das KJSG im SGB VIII §9a geforderte ombudschaftliche Beratung im Land, welche perspektivisch in eine eigene Struktur übergehen soll. Entsprechend besteht ein intensiver Kontakt zu Ratsuchenden aus dem gesamten Leistungsspektrum der Kinder- und Jugendhilfe. In bisher 169 Fällen aus allen Landkreisen und kreisfreien Städten sind sie dabei bisher auf unterschiedlichste Problemlagen gestoßen, sei es bei Konflikten in der Hilfegestaltung oder schon in der Hilfeplanung. Zunehmend sind auch Fälle im Kontext von Umgangsgestaltung, Kindeswohlgefährdung und Inobhutnahme. Die stetig wachsende Zahl von Fällen zeigt dabei nicht nur die Notwendigkeit einer Ombudsstelle, sondern die auch immer noch vorhandene Machtasymmetrie gegenüber öffentlichen Trägern, oft verbunden mit Defiziten in der Kommunikation, Erreichbarkeit und dem Aufklärungswillen. Entsprechend legt OMBUD LSA auch einen hohen Wert auf den Austausch mit den öffentlichen und freien Trägern, damit sich die Rahmenbedingungen und Rechtsdurchsetzung für Kinder und Jugendliche langfristig verbessern. 

Einen Blick aus der anderen Perspektive gewährte das Jugendamt Magdeburg. Mit Volker Henneicke, Stefanie Fahrtmann-Fischer und Steffi Wolf waren gleich drei Abteilungsleitungen bereit, über ihre Arbeit und die Herausforderungen durch das KJSG zu berichten. Im ersten Teil berichtete das Jugendamt über den Zwischenstand zur Umsetzung des KJSG aus Sicht einer Kommune. Anhand der vom Gesetzgeber geforderten Anpassungen wurde überprüft, wie der Sachstand beim öffentlichen Träger ist. Hier konnte erfreulicherweise festgestellt werden, dass bereits viele neuen Forderungen ganz oder teilweise abgedeckt sind. Für die noch offenen Herausforderungen wurden dann entsprechend der identifizierten Handlungsschritte Projektgruppen gebildet. Insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ab 2028 sieht der öffentliche Träger dabei noch viele Probleme, die auch teilweise nicht in der Kommune selbst gelöst werden können. Im Bereich des Kinderschutzes wurden hingegen bestehende Netzwerke gestärkt und ggf. neue Verbindungen geschaffen und Verfahren angepasst. 

Ganz nach dem stadtbekannten Motto “Von so weit her bis hier hin / von hier aus noch viel weiter” wurden im zweiten Teil aus den verschiedenen Abteilungen die bisherigen Erfahrungen bei der Weiterentwicklung von Schutzkonzepten in der Kindertagesbetreuung, offenen Jugendarbeit und Pflegekinderhilfe skizziert. Auch hier konnte das Jugendamt Magdeburg bereits auf viel Erfahrung und gute Vorbereitung zurückgreifen, die nun aber weitergedacht wird. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern, egal ob frei oder öffentlich, wird hier vor allem auf Weiterbildung und Kulturarbeit fokussiert. Entsprechend werden nicht einfach nur Papiertiger eingefordert, sondern auch die Praxistauglichkeit geprüft und evaluiert. 

Es wurde deutlich, dass daher die Weiterentwicklung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, nicht erst seit dem KJSG, ein kontinuierlicher reflexiver Prozess sein muss. Dafür müssen freie und öffentliche Träger auf Augenhöhe miteinander im Gespräch sein. Dass einige Jugendämter hier schon erfolgreiche Schritte gegangen sind, weil Trägerbeteiligungen immer mitgedacht wurden, konnte der Praxisinput aus Magdeburg zeigen. Dass wiederum noch viele Baustellen im Land offen sind, zeigte die Ombudsstelle. Nicht nur der Transfer zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe, sondern alle Anforderungen des SGB VIII müssen dabei als Qualitätsmaßnahmen verstanden werden, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen abzusichern. Und wer über Qualität spricht, darf beim Geld nicht schweigen, betonte auch Antje Ludwig. DER PARITÄTISCHE möchte daher den fachlichen Dialog zwischen freien und öffentlichen Trägern weiter verstärken. 

Martin Hoffmann

Referent Frühkindliche Bildung und Jugendhilfe

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