Novellierung des SGB VIII – Reform oder Deformation?

Hilfen zur Erziehung

28.04.2017

Seit dem 12. April 2017 liegt der Regierungsentwurf für die Gesetzesänderung des SGB VIII der Öffentlichkeit vor. Dem vorausgegangen ist ein monatelanger Ankündigungsprozess des Vorhabens durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), diverse Arbeitsentwürfe, die zurückgezogen wurde, ein andauerndes „Kommt-da-noch-was-oder-nicht“.

28. April 2017

Seit dem 12. April 2017 liegt der Regierungsentwurf für die Gesetzesänderung des SGB VIII der Öffentlichkeit vor. Dem vorausgegangen ist ein monatelanger Ankündigungsprozess des Vorhabens durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), diverse Arbeitsentwürfe, die zurückgezogen wurde, ein andauerndes „Kommt-da-noch-was-oder-nicht“. Dann folgte entgegen der Aussagen des Ministeriums ein übereilter Referatsentwurf am 17. März 2017, der nur auf Pseudobeteiligung der Fachverbände aus war. Diesen Referatsentwurf legte man am 17. März 2017 - Freitagnachmittags - der Fachöffentlichkeit in das Emailfach und bat um Rückmeldungen bis zum 23. März 2017. Gleichzeitig wurde für den 24. April 2017  zu einer 2-stündigen Anhörung in das Bundesministerium geladen, welcher immerhin ca. 80 Vertreter*innen folgten. Das hier nicht an einen fachlich fundierten Diskussionsprozesse gedacht werden kann, liegt in der Sache selbst. Dennoch die Fachöffentlichkeit bezog Position – ob der zeitlichen Unmachbarkeit.

Spaltung der Jugendhilfe gewollt?
Aus dieser Fachdebatte sind einige wenige Kritiken in den Regierungsentwurf eingeflossen. Es gab beispielsweise eine Veränderung im § 1 bei der Formulierung des Abs. 1, der nun wie folgt lauten soll: 
Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Aber auch der Regierungsentwurf hielt seitens des Kabinetts noch „Überrumpelungen“ parat. So flossen auch seitens des Kabinetts Passagen ein, u.a. der von vielen sehr kritisierte neue § 78f Abs. 2, welcher ein Zweiklassensystem der Jugendhilfe protegiert. Hier wird vorgesehen, dass den Ländern künftig erlaubt sein soll, die Kostenerstattungen an Kommunen einzustellen, wenn es keine gesonderten Rahmenverträge für Spezialeinrichtungen für junge Menschen mit Fluchthintergrund gibt. Dem Paragrafen folgend würden gesonderte Einrichtungen für junge minderjährige Geflüchtete geöffnet werden und diese qua Status aus unserer Gemeinschaft gedrängt. Die reguläre Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und alle Leistungen des Zweiten Kapitels SGB VIII – steht allen jungen Menschen unabhängig davon, ob sie Deutsche, Ausländer oder Flüchtlinge sind, zu.

Geplanter Verlauf
Und nun hat das Bundeskabinett eben am 12. April 2017 den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen beschlossen. Dieser Entwurf wurde nun den Ländern zu weiteren Beratung zugeleitet. Und vor allem wird die Zustimmung der Länder erwartet. Diese Zustimmung der Länder muss schnell erfolgen, denn folgende Zeiten sind nach unserer Kenntnis dafür vorgesehen:

19. Mai 2017         Erste Lesung im Deutschen Bundestag

02. Juni 2017        Bundesrat

19. Juni 2017         Anhörung im Bundestagsausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend (FSFJ)

28. Juni 2017         Abschlussbefassung im Bundestag Ausschuss FSFJ

30. Juni 2017         2./3. Lesung im Bundestag

07. Juli 2017          Bundesrat

Nach unserer Einschätzung ist eine weitere Beteiligung der Fachöffentlichkeit auf Bundesebene nicht vorgesehen. Einzig allein auf Länderebene besteht für Fachverbände die Option, ihren Ministerien Anmerkungen/Kritiken mit auf den Weg zum Bund zu geben.

Leitgedanke der Reform bleibt unklar
Jetzt soll also noch schnell vor der Bundestagwahl das Kinder- und Jugendhilfegesetz neugeordnet, umgestaltet, verbessert – so die Bedeutung des Begriffes „Reform“. Der Ansatz der Inklusion, der ursprünglich Leitgedanke der Reform war, steht dabei nicht mehr im Fokus. Ein Stückwerk an Verschärfungen und Unklarheiten in dem Entwurf zeigen, dass der Reformbedarf des SGB VIII dafür herhalten muss, um Einzelinteressen gesetzlich zu normieren. Da darf man sich zurecht fragen, welche und wessen Interessen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe seitens des Kabinetts verfolgt werden. Die der jungen Menschen scheinen es nicht prioritär zu sein.

Beteiligung der Fachöffentlichkeit unerlässlich
Das „Haus Schwesig“ hatte vier Jahre Zeit, die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages umzusetzen. Da wirkt es schon befremdlich, wenn dann so relevante Prozesse kurz vor der Wahl gegen den Widerstand der Vertreter*innen der Kinder- und Jugendhilfe noch im Hauruck-Verfahren umgesetzt werden sollen. Im Interesse der Kinder- und Jugendhilfe und seiner Fachverbände als auch insbesondere der von der Kinder- und Jugendhilfe partizipierenden jungen Menschen ist diese Reform auf keinen Fall noch in dieser Legislatur durchführbar. Der Bundestag ist gut beraten, solch eine weitgreifende Reform eines Sozialgesetzbuches auf die kommende Legislatur zu legen, und dann in ernsthafter Beteiligung der Fachöffentlichkeit in einem angemessenen Zeitfenster anzugehen. 

Nicole Anger

Frühkindliche Bildung, Jugendhilfe

Der Paritätische Sachsen-Anhalt
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Martin Hoffmann

Referent Frühkindliche Bildung und Jugendhilfe

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